mardi 8 septembre 2015

Die ersten beiden Sätze für ein Deutschlandbuch -- Johannes Bobrowski


Als die ersten Nachrichten von den Massenmorden an Juden in die Stadt gelangten und jedermann meinte, sie seien übertrieben, so schlimm könne es ja wohl nicht sein, und jeder dennoch ganz genau wußte, daß sich das alles tatsächlich so verhielt, daß keine noch so ungeheuren Zahlen, keine noch so gräßlichen Methoden und raffinierten Techniken, von denen man hörte, übertrieben waren, daß wirklich alles so sein mußte, weil es gar nicht anders sein konnte, und daß es längst nicht mehr die Zeit war, davon zu reden, ob es nicht doch noch andere, mildere, menschlichere Verfahren gegeben hätte, Ausweisungen ja wohl nicht mehr, jetzt im Kriege, aber doch garantierte Reservationen, mit Eigenverwaltung undsoweiter, als das völlige Schweigen an der Reihe war, als man sich selber schon hinweggeschwiegen hatte, wer weiß wovon und wer weiß wohin, gegen nichts mehr einen Widerspruch aufsteigen spürte, nur so daherredete, zwischen einem nachlässig stilisierten Witz und dem feierlich-feuchten Gefühl, in einen Schicksalskampf von mythischem Rang einbezogen zu sein, wider Willen, zugegeben, als es so weit war mit denen, die frei herumliefen in Deutschland und frei herumlebten, unter den erschwerten Bedingungen des Krieges, zugegeben, als sie so weit gekommen waren, - was nichts heißen soll, denn so weit waren sie ja dann wohl schon seit je gewesen, wenn es jetzt so gut klappte, als es also war wie schon immer, als das so war, läuteten die Glocken - für gar nichts besonderes: die Hochzeit eines Hirnverletzten, dem man in Anbetracht seiner militärischen Auszeichnungen diesen Wunsch nicht hatte abschlagen können, eines garnisonsverwendungsfähig geschriebenen, aber für die nächsten Jahre vorerst beurlaubten Oberleutnants der Pioniere, mit einer Krankenschwester namens Erika, die ihn im Sanatorium vom Fensterkreuz, an dem er sich aufgeknüpft, mit eigner Hand abgeschnitten hatte und die er am Abend der Hochzeit noch erwürgte, in einem sogar vermuteten Anfall von Geistesgestörtheit, was auch nichts heißt, denn geistesgestört zu sein war ohnehin sein behördlicher Zustand gewesen seither, das heißt seit zwei Jahren, seit seiner Verletzung. 

Das eine also seit zwei Jahren, das andere seit wann?

(in Johannes Bobrowski, Gesammelte Werke, Deutsche Verlags-Anstalt, München, 1998)



Je ne connais pas de traduction française de ce texte de 1964, mais une traduction anglaise trouvée ici :


 
The first two sentences for a book on Germany


When the first news of the mass murders of Jews reached the town and everybody was of the opinion that this was exaggerated, since it could never have been as bad as that, and yet everybody knew quite well that all of this was real, that none of those immense figures, none of those gruesome methods and refined techniques which one had heard about were exaggerated, that all of this had really taken place, since it could on no account have been otherwise, and that it was therefore no longer possible to discuss whether there might not have been milder, more humane ways, perhaps no longer banishment, now during the war, but rather guaranteed reserves with self-rule and so forth, when the time had come for utter silence, when one had already withdrawn into silence, away from who knows who and who knows what, feeling no longer a resentment rising up against anything, taking part only in superficial small talk, alternating between a casual stereotyped joke and an emotional-solemn feeling of being involved in an existential struggle of mythical proportions, against one’s own free will, this granted, when this stage had been reached by all those who were running around free in Germany and continuing with their free life, under the more difficult circumstances of war, this granted, when they had managed to come thus far – which does not say very much, because so far they had always managed to cope seeing that they had things pretty well under control by now, when thus everything was as it had always been, when this was the case, bells were ringing – for nothing out of the ordinary: for the wedding of a brain damaged man, who on account of his military decorations as chief lieutenant of the pioneer troops could not be denied this wish, having been declared fit for garrison duty but provisionally placed on leave for the next few years, and his bride, the nurse Erika, who with her own hands, had cut him loose when he tried to hang himself from a window frame in the Sanatorium, and whom he on the eve of his wedding day then strangled, apparently in a bout of mental disturbance, which also does not say much about his condition, because being mentally disturbed had been his official status in any case, that is for the past two years, after his injury.

This one then for the past two years, the other one since when ?




Les Allemands écriraient-ils la troisième phrase de ce livre de l'Allemagne ?